Der Chassidismus, der im 18. Jahrhundert in den Grenzen des Unionstaates Polen-Litauen entstand, hatte seine Wurzeln in älteren jüdischen Frömmigkeitstraditionen. Es war eine religiöse Erneuerungsbewegung, die aus dem reichen mystischen Ideenbestand des Judentums schöpfte. Der Amulettenschreiber und Heiler Baal Schem Tov, wie der legendäre Vater des Chassidismus Israel ben Eliezer genannt wurde, versammelte in Międzyboż (Podolien) einen elitären Zirkel von Gleichgesinnten um sich, aus dem sich die zweite und dritte Generation der chassidischen Meister rekrutierte. Mit der Verbreitung des Chassidismus in weiten Teilen Ost-, Mittel- und Südosteuropas entstand im Laufe des 19. Jahrhunderts eines der zentralen jüdischen Massenphänomene.

Wir wenden uns im Seminar Martin Bubers Deutung der chassidischen Literatur zu, die sein dialogisches Denken entscheidend prägte. Buber glaubte im Chassidismus ein ‚authentisches‘ Judentum entdeckt und eine Antwort auf die spirituelle Leerstelle gefunden zu haben, wie er sie im Leben akkulturierter westeuropäischer Juden zu Beginn des 20. Jahrhunderts diagnostizierte. Im Laufe seiner Beschäftigung mit dem Chassidismus deutete ihn Buber immer universeller – als Antwort auf die Krise des modernen Menschen, dem die chassidischen Lehren zu einer neuen geistigen Heimat hätten werden können. Um diese Interpretationsprozesse nachvollziehen zu können, werden wir die themenrelevanten autobiographischen Aufzeichnungen Bubers und seine theoretischen Überlegungen sowie seine Nacherzählungen der chassidischen Geschichten diskutieren.


Das Kolloquium richtet sich an Bachelor-Studierende der Fächer Jüdische Studien, Religionswissenschaft und Jüdische Theologie und dient der Findung eines geeigneten Themas für die Abschlussarbeit, ihrer Konzipierung und der Auseinandersetzung mit fachrelevanten theoretisch-methodologischen Ansätzen. Das Ziel der Veranstaltung ist, den Schreibprozess vorzubereiten und ihn zu begleiten – durch Projektvorstellungen, das Verfassen von Abstracts und Zusammenfassungen von Fachliteratur, die Diskussion von Gliederungsoptionen und Erstellung von Bibliographien.