Als Reaktion auf Dohms in ganz Europa vieldiskutierte Programmschrift „Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden“ (1781/83), welche die politische und gesellschaftliche Gleichstellung der Juden gefordert hatte, taucht bei Johann David Michaelis die Kategorisierung der Juden als „fremde“ Nation auf, die in einem von Christen bewohnten Staat nie gleichberechtigte Bürger werden sollten. Nach der Französischen Revolution prägt Fichte 1793 die Metapher von den Juden als „Staat im Staate“, und spricht ihnen damit die Möglichkeit ab, gleichberechtigte Bürger in einer modernen Republik zu werden. Fichtes Reden an die deutsche Nation (1808) sind eine Grundlegungsschrift des deutschen Frühnationalismus‘. Seine Definition des Deutschen über seine germanische Herkunft ethnisiert den deutschen Nationalismus und schließt Jüdinnen und Juden prinzipiell aus der deutschen Nation aus. Dieser offen antisemitischen Exklusion von Juden aus einem zukünftigen deutschen Nationalstaat schließen sich beinahe alle wichtigen Propangandisten des deutschen Frühnationalismus an: Friedrich Rühs, Ernst Moritz Arndt und der Turnvater Jahn, die Mitglieder der christlich-deutschen Tischgesellschaft ebenso wie die Gebrüder Grimm. Den judenfeindlichen Diskursen dieses völkischen deutschen Nationalismus widersprechen prominente Juden ganz entschieden: Moses Mendelssohn, Sabbatia Joseph Wolff, Saul Ascher, Ludwig Börne und Heinrich Heine fordern öffentlich die staatsbürgerliche Emanzipation aller Juden. Ascher, Börne und Heine entwerfen dabei die Vision eines Deutschland, das niemals Wirklichkeit wurde.

 

Leistungsanforderungen: Regelmäßige und aktive Teilnahme, Lektüre, Mitdenken, Mitdiskutieren.

Jede*r Studierende stellt einen der Seminar-Texte in einem kurzen Impulsreferat vor und fertigt zu jedem der im Kurs studierten Texte nach der Sitzung, jedoch spätestens bis Semesterende, eine selbst verfaßte 1-seitige Zusammenfassung an, die am Kursende gesammelt abzugeben sind. In der Summe dokumentieren diese eigenen Zusammenfassungen aller Texte das im Kurs durch Lektüre und Diskussionen erworbene Wissen.

 

Literatur: Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Frankfurt/M. 2005; Helmut Plessner, Die verspätete Nation, Frankfurt/M. 1988; Marco Puschner, Antisemitismus im Kontext der Politischen Romantik. Konstruktion des „Deutschen“ und des „Jüdischen“ bei Arnim, Brentano und Saul Ascher, Tübingen 2008; William Hiscott, Saul Ascher. Berliner Aufklärer, Hannover 2017.


In geschichtlicher und gegenwärtiger Perspektive wird der Begriff ‚das Judentum‘, der einen einheitlichen und geschlossenen Gegenstand suggeriert, zum Problem. Seine Verwendung kann nur sinnvoll sein, wenn man ihn als Abstraktion versteht und mit kultur- und religionswissenschaftlichen Kenntnissen füllt. Das ist auch das Ziel dieser Vorlesung, in der wir uns der inneren religiösen und kulturellen Vielfalt des Judentums zuwenden. Ausgehend von einer Darstellung jüdischer religiöser Literatur werden in der Veranstaltung die wichtigsten Begriffe und Konzepte des Judentums wie Tora, Bund, Offenbarung, Tradition, Kommentar etc. diskutiert. Darüber hinaus führt die Vorlesung in religiöse Praktiken, Gebräuche und Feste sowie den jüdischen Lebenszyklus ein. In einem geschichtlichen Überblick von den Anfängen des Judentums bis heute werden die geographischen Räume und wesentlichen Phänomene jüdischer Geschichte wie Exil, Diaspora, Messianismus, Modernisierung, religiöse Ausdifferenzierung, Akkulturation, Dissimilation, Zionismus sowie ihre innerjüdische Thematisierung in Form solcher Diskurse wie Mystik, Philosophie und Historiographie angesprochen.
Mit dem in der Veranstaltung gebotenen Überblick sollen Studierende zu einer zielgerichteten Weiterbeschäftigung mit dem Thema befähigt werden.

Seit geraumer Zeit ist in den historischen Geisteswissenschaften von einem ‚biographical turn‘ die Rede. Auch in den Jüdische Studien nimmt die Relevanz der biographischen Forschungspraxis stets zu. Von diesem Befund ausgehend, bietet die Veranstaltung in einem Mischformat aus Vortrag, Autorengespräch und Diskussion Einblicke in die historiographischen und literarischen Aspekte der Arbeit an geschichtlichen Lebensläufen. Zwölf Biograph:innen berichten über den Entstehungsprozess ihrer Studien, in denen sie die Schicksale jüdischer Menschen vom 18. bis zum 20. Jh. in umfassenderen historischen Zusammenhägen schildern.

Die Werkstattberichte bieten Anlass dazu, im Medium einer retrospektiven Reflexion biographischen Schreibens neben der Frage nach jüdischen Erfahrungen in der Moderne eine Reihe forschungspraktischer und methodologischer Fragen zu adressieren – von der fundamentalen Frage nach der Wahl von Protagonist:innen biographischer Narrative, über den Umgang mit den Quellen, den Wissenslücken bzw. der Wissensfülle über die literarischen Dimensionen biographischer Arbeitsprozesse bis hin zur Präsenz der Biograph:innen in ihren Darstellungen fremder Leben. Entlang solcher Fragen werden Qualitätsmerkmale biographischer Studien und die Bedingungen der Möglichkeit diskutiert, medial vermittelte Spuren eines vergangenen Lebens in eine schriftliche Erzählung zu transformieren.

Über die hier genannten Fragen der Biography Studies hinaus erhalten Studierende die Möglichkeit, sich mit den Ergebnissen neuerer biographischer Arbeiten vertraut zu machen und die essentiellen Phänomene jüdischer Geschichte wie Exil, Diaspora, Mehrsprachigkeit, Transkulturalität und -territorialität, Akkulturation usw. im Kontext individueller Lebensgeschichten zu studieren.