Goethe charakterisiert das Romantische als das Kranke im Gegensatz zum Klassischen als dem Gesunden. Doch die Romantiker nehmen das Schimpfwort ihrer Gegner auf und setzen es als die gültige Bezeichnung für die neue Kunst- und Weltanschauung ein, die sich als Aufstand des Gefühls und der Phantasie gegen Aufklärung und klassische Regelstrenge in Europa verbreitet. Ihre epochale Bedeutung erlangt die Romantik in der deutschen Literatur (Jenaer Frühromantik, Heidelberger Hochromantik, Berliner Spätromantik). Auch im slavischen Kulturraum denken wir bei Romantik an Liebessehnsucht und unerfülltes Begehren, wie beispielsweise in Evgenij Onegin (1833) von Aleksandr Puškin oder in Máj (Der Mai; 1836) von Karel Hynek Mácha. Anderseits ist die Romantik eine Transformationsepoche zum europäischen Bürgertum mit einem neuen sozialen Regelwerk, wie beispielsweise in Pan Tadeusz czyli Ostatni zajazd na Litwie (Pan Tadeusz oder Die letzte Fehde in Litauen; 1834) oder im Kobzar (1840) von Taras Ševčenko. Der romantische Lyriker Konstantin Ryleev (1795-1826) beteiligt sich 1825 am Dekabristen-Aufstand und wird gehängt, anderen verbringen Jahrzehnte in der Verbannung. Nikolaj Gogol‘ wiederum belebt in Russland das Jahrzehnte vorher im Westen entstandene Genre der „Gothic Novel“ zu neuem Leben und lehrt dem russischen Bürgertum in Petersburg mit seinen ukrainischen Geister- und Spukgeschichten das Fürchten. Dies wird als schwarze Romantik bezeichnet. Als ein Aufstand gegen das, was uns kaputt macht, wirkt das Erbe der Romantik in dem allem bis heute in unserem Alltagsleben nach. Die Bedeutung der Romantik für unsere Zeit von Populismus, digitaler Diktatur und ökologischer Katastrophe wollen wir anhand von exemplarischen literarischen Texten aus Mittel- und Osteuropa reflektieren.