Das Bewusstsein für ökologische Probleme, wie etwa das Waldsterben, wurden bereits in der russischen Literatur des 19. Jahrhunderts zum Gegenstand künstlerischer Reflexion und sozialer Verhandlung. Unter den Bedingungen staatlicher Zensur in der Sowjetunion fungierte die Belletristik als ein wichtiges Forum, in dem ökologisches Bewusstsein sich formieren könnte. Im Rahmen des Seminars werden die Studierenden grundlegende Fragestellungen ökokritizistischer und umwelthistorischer Ansätze in der Literaturwissenschaft kennenlernen. 

Das Seminar bietet die Möglichkeit, sich in der Übersetzung zeitgenössischer Literatur zu versuchen. Im Zentrum steht die
Poesieübersetzung anhand ausgewählter Werke aus zwei wichtigen Strömungen der russischen Gegenwartskultur.
Vor dem Hintergrund theoretischer Diskussionen werden wir uns zur Einstimmung auf die eigene Praxis der Analyse von
Übersetzungen aus dem Moskauer Konzeptualismus widmen. Dabei wird uns interessieren, wie Semantik, Intonation,
Rhythmus und Klang in der Poesieübersetzung zusammenwirken, aber auch wie bei einer performativen Literatur über die
wortgetreue Übersetzung hinaus der sprachliche Akt als Redeweise zu erfassen ist.
Der Moskauer Konzeptualismus der 1970er und 1980er Jahre bedeutet eine besondere Herausforderung für die
Übersetzung, da hier ganz unterschiedliche Schichten der zeitgenössischen russischen Sprache – von den offiziellen
politischen Artikulationen (Losungen, Manifeste, Instruktionen) bis zur tabuisierten obszönen Alltagsrede – als Material
der poetischen Reflexion entdeckt wurden. Im gegenwärtigen Russland knüpfen junge Dichter und Dichterinnen an diese
Poetik der kulturellen Selbstreflexion an, um sie zugleich bei ihrer Suche nach Möglichkeiten direkter politischer Aktion und
gesellschaftlicher Intervention zu überschreiten
Die Auswahl von Texten für die Neuübersetzung soll gemeinsam im Seminar getroffen werden - im direkten Austausch mit
russischen Autor:innen und Herausgeber:innen, wie Pavel Arsen’ev und Roman Osminkin (Laboratorium des poetischen
Aktionismus / Zeitschrift Translit) oder Galina Rymbu, die mit F pis’mo eine Internetplattform für neue russische feministische
Poesie begründet hat.
Wie im Moskauer Konzeptualismus spielen in der gegenwärtigen russischen Poesie Performance-Lesungen eine wichtige
Rolle, und darüber hinaus werden Verbreitungsformen der Poesie über Musik, Video und soziale Netzwerke erprobt. Für die
Veröffentlichung der im Seminar angefertigten Übersetzungen werden wir insofern auch nach medialen Formaten jenseits des
Gutenbergschen Buchs Ausschau halten.