Nach der bedingungslosen Kapitulation NS-Deutschlands im Mai 1945 lag Europa in Trümmern, Krieg und Holocaust hatten viele Millionen Todesopfer gefordert, und die Alliierten standen angesichts der nun ans Licht kommenden Massenverbrechen vor der grundsätzlichen Entscheidung, welche Zukunft dieses Land in der Mitte Europas würden haben sollen. Dabei überschnitten sich Fragen und Debatten nach der juristischen Schuld Deutschlands, nach moralischer Verantwortung des/der Einzelnen und nach Faktoren und Voraussetzungen für den Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und davon ausgehend nach den Chancen einer Demokratisierung der Deutschen.

Ausgehend von Karl Jaspers programmatischer Schrift „Die Schuldfrage“ (1946) und dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46 möchte das (leseintensive) Seminar die Frage nach Schuld und Verantwortung anhand ganz unterschiedlicher Quellen und Kontexte diskutieren. Neben juristischen Fragen stehen die Positionen der christlichen Kirchen zur Diskussion, Erklärungsansätze der Geschichtswissenschaft, Philosophie und der Sozialpsychologie und nicht zuletzt politische Modelle bis hin zu literarischen und filmischen Versuchen der Aufarbeitung. Je nach Interesse der Studierenden können auch neuere Ansätze ergänzt werden, etwa zur Entwicklung des Völkerrechts von 1945 bis heute, zur Schulddebatte in anderen europäischen Ländern (Stichwort: Kollaboration) oder zur weiteren Entwicklung der deutschen Erinnerung(spolitik).