
KOMMENTAR
Was ist Literaturtheorie und wozu braucht man sie? Was kann man damit
für das Verständnis von Texten gewinnen? Solche Fragen werden seit
Jahrzehnten gerne beantwortet, indem man verschiedene theoretische
Ansätze an kanonischen Texte in einem Band vergleichend „ausprobiert”.
Die Texte für solche Sammelbände stammen meist von Kleist oder Kafka,
gelegentlich auch von anderen Autoren (wie E.T.A. Hofmann). Thomas Mann
gilt eher selten als Beispiel für solche methodisch-didaktischen
Fingerübungen. Das mag daran liegen, dass seine Texte lange in recht
undifferenzierter Weise als „traditionalistisch” und somit uninteressant
abgetan wurden, vor allem aber daran, dass in der Thomas Mann-Forschung
oft andere Fragen im Vordergrund stehen, die mit Thomas Manns komplexem
Selbstverständnis als Zeitgenosse und Zeitdiagnostiker, seinen
politischer-öffentlichen Positionierungen oder mit einer nicht
ausgelebten Homoerotik zu tun haben.
Gerade deshalb kann es
interessant sein, einige von Thomas Manns Erzählungen daraufhin zu
überprüfen, ob und inwieweit sie mit gezielt literaturtheoretischen
Ansätzen erschlossen werden können. Wir werden uns deshalb anhand
einführender Texte relevante literaturtheoretische Ansätze erarbeiten,
zuvor aber die Erzählungen „Tonio Kröger”, „Tod in Venedig” und „Mario
und der Zauberer” ausführlich gemeinsam diskutieren und uns ein
Verständnis dieser kanonischen Texte erarbeiten. Im Seminar können die
Studierenden die wichtige Orientierungskompetenz für den Umgang mit
Forschung und zugrundliegenden Theorie-Ansätzen gewinnen: d.h. wir
wollen versuchen, Forschungstexte auch mit Blick auf die
zugrundeliegende Art des Argumentierens und ihre methodischen und
theoretischen Voraussetzungen zu verstehen. Ein solches Wissen
ermöglicht in Zukunft eine dringend erforderliche bessere Orientierung
beim Umgang mit Forschung.
LITERATURHINWEISE
Die Texte Thomas Manns sollten in der textsichersten Edition der Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe gelesen und zitiert werden.
Thomas Mann: Späte Erzählungen 1919–1953. Hg. und kommentiert von Hans Rudolf Vaget, u.M. von Angelina Immoos. Frankfurt/M. 2021 (GkFA, Bd. 6).
Thomas Mann: Frühe Erzählungen 1893–1912. In der Fassung der GkFA. Frankfurt/M. 2012 (Taschenbuch).
Thomas Mann: Der Tod in Venedig. In der Fassung der GkFA. Frankfurt/M. 2017 (Taschenbuch).
Zur Annäherung an literaturtheoretische Fragen:
Culler, Jonathan: Literaturtheorie. Eine kurze Einführung. 2. Aufl. Stuttgart: Reclam 2014 [E-Book über UB Potsdam: https://ebookcentral.proquest.com/lib/potsdamuni/detail.action?docID=5800151].
Kafkas »Urteil« und die Literaturtheorie. Zehn Modellanalysen. Hg. von Oliver Jahraus und Stefan Neuhaus. Stuttgart: Reclam 2013.
Köppe, Tilmann; Winko, SIMONE: Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. 2. Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler 2013 [E-Book über UB Potsdam: https://doi.org/10.1007/978-3-476-00915-9].
Zugänge zur Literaturtheorie. 17 Modellanalysen zu E.T.A. Hoffmanns »Der Sandmann«. Hg. von Oliver Jahraus. Stuttgart: Reclam 2016.
LÖRKE, Tim; MÜLLER, Christian (Hg.): Vom Nutzen und Nachteil der Theorie für die Lektüre: das Werk Thomas Manns im Lichte neuer Literaturtheorien. Würzburg 2006.
- Kursleiter*in: Prof. Dr. Fabian Johannes Lampart
