Das Seminar dient dem Versuch, einer zeitdiagnostischen Kategorie einen medienästhetischen Gehalt zu geben. Seit vielen Jahren ist vom „erschöpften Selbst“ die Rede. Mit dem Neoliberalismus sowie die Nichtnachhaltigkeit unseres Wirtschaftssystems als die Schuldigen schnell ausgemacht. Die COVID-Pandemie hat dem noch eine durch Viralerkrankung ausgelöste Variante hinzugefügt, und zwar die derzeit vielbesprochene chronische Erkrankung ME/CFS.

Im Seminar soll statt der negativen Kategorien wie Erschöpfung, Überlastung, Zusammenbruch ein positiver oder zumindest affirmierbarer Begriff entgegengehalten werden, nämlich das Nachlassen im Sinne des Wenigerwerdens, des Schwächerwerdens, der Rücknahme, auch des Überlassens (Nachlass als Hinterlassenschaft). Das Nachlassen ist als Gegenbegriff zum Steigern und zum Forcieren zu verstehen. Es meint aber auch keine Asketik, wenn man darunter eine strenge Lebenslehre versteht. Um den Begriff des Nachlassens besser zu verstehen, werden einige ästhetische Beispiele (Musik, Literatur, Theater, Film, Videospiel) im Zentrum stehen, die dazu dienen sollen, den Titel „Kulturen des Nachlassens“ zu konturieren. Es sollen aber ebenso aktuelle soziopolitische Debatten zur Entschleunigung, zum Degrowth und zu anderen Reaktionen auf die Pathologien der Moderne einbezogen werden.

Ob der Versuch gelingt, wird wesentlich an der Mitwirkung der Seminarteilnehmer*innen abhängen. Alle sind dazu eingeladen, eigene Beispiele, Erfahrungen, Lektüren und Vorschläge einzubringen, um gemeinsam über mögliche und wirkliche Kulturen des Nachlassens nachzudenken. Vielleicht kann sogar der bislang vakante Ausdruck „Nachgelassenheit“ mit Sinn gefüllt werden. Er lässt sich als eine Art Tugend auffassen, der etwas „nach“ der „Gelassenheit“ meint. Zugleich könnte er die Fähigkeit meinen, sich dauerhaft im Zustand oder Prozess des Nachlassens aufzuhalten.

Als Testat wird diesmal das Format Präsentation gewählt. Die Präsentationen können einzeln oder gemeinsam durchgeführt werden. Ihr Charakter soll völlig offen bleiben. Besondere Absprachen mit der Seminarleitung und den anderen Teilnehmer*innen sind jederzeit möglich. Das Seminar dient auch dem Versuch einer Einübung eines anderen Miteinanders im akademischen Raum.