Erinnerungen sind für Individuum und Gesellschaft konstitutiv. Sie prägen kollektive Welt- und Menschenbilder, formen kulturelle, kollektive und individuelle Identitäten und liefern Orientierungsmuster. Die Erinnerung des Individuums beruht einerseits auf der persönlichen biologisch eingeschriebenen Wahrnehmung eines Menschen, andererseits auf eben dem, was ihm in seiner Sozialisation über die Vergangenheit seiner kulturellen Gemeinschaft und sozialen GruppeNo vermittelt wird. Das individuelle Gedächtnis besteht folglich aus inkorporierten und erlernten Anteilen, die sich überlagern.

Die gesellschaftlich institutionalisierte Erinnerung hingegen basiert auf einer Auswahl von Ereignissen und Personen, die anhand von Geschichten, mit Hilfe von Orten, Denkmälern oder Gegenständen bewahrt und vergegenwärtigt werden und daher im zentralkulturellen Mittelpunkt der Semiosphäre stehen. Die durch die Auswahl anfallenden „Lücken“ beruhen auf den Akzentsetzungen derjenigen, die über das Erinnerungswissen einer Gesellschaft entscheiden. 

Diese Lücken wurden und werden in demokratischen Gesellschaften durchaus aufgearbeitet. So hat die Mentalitätengeschichte seit den 1930er Jahren einen Wandel eingeleitet und dafür gesorgt, dass einerseits der bis dato kaum berücksichtigte Lebensalltag der so bezeichneten „kleinen Leute“ und ihr Anteil an der „offiziellen Geschichte“ aufgearbeitet und dokumentiert wurde und wird. Zeitzeugen spielen dabei eine ebenso wichtige Rolle wie Objekte, die von etwas „zeugen“.  Anderseits rückten dabei Orientierungsmuster und Einstellungen zum Aufbau sozialer Strukturen als Prägungen in den Mittelpunkt, die sich v.a. aus dem Handeln der Menschen selbst erschließen lassen.

Die meisten Erinnerungslücken sind in der Darstellung der nationalen Gedächtnisse zu finden. Sie betreffen das, was eine Nation im Hinblick auf ihre moralischen Werte als „unrühmlich“ erscheinen lassen kann. Vor dem Hintergrund des Zusammenspiels der Gedächtnistypen und ihrem Einfluss auf individuelles wie kollektives Wahrnehmen und Handeln werden wir uns einerseits mit den offiziellen (zentralen), semioffiziellen und inoffiziellen (peripheren) Formen der Aufarbeitung von „Lücken“ befassen sowie mit den jeweils dabei eingesetzten Medien. Anderseits werden wir uns auch mit den „Tücken“ einer multiperspektivischen und multimedialen Darstellung auseinandersetzen müssen. Zu Gast sein wird zum einen Karl Rössel, der gemeinsam mit anderen Journalisten eine beispiellose Aufarbeitung der Schicksale der an den beiden Weltkriegen beteiligten Soldaten aus den Kolonien geleistet hat und insofern eine Vorreiterrolle für die aktuellen Diskussionen sowohl der Geschichtsaufarbeitung und ihrer musealen Darstellbarkeit einnimmt. Zum anderen werden uns gemeinsam mit zwei für das Haus für Brandenburg-preußische Geschichte praktizierenden Studentinnen mit der möglichen Darstellbarkeit der an bestimmte Objekte geknüpften persönlichen Geschichten befassen.