Der Kurs widmet sich zentralen Texten der postkolonialen Literaturwissenschaft unter Anwendung auf Kamel Daouds Roman "Meursault, contre-enquête" ( Der Fall Meursault - eine Gegendarstellung).

Im Zuge der wachsenden Bedeutung der Queer- und Gender Studies auch in Hinblick auf literaturwissenschaftliche Fragestellungen, geriet in den letzten Jahren auch eine der wichtigsten, aber lange Zeit vergessenen Schriftstellerinnen des französischen Fin de Siècle in den Mittelpunkt des Interesses. Marie-Marguerite Valette / Rachilde (1860-1953) hinterfragte, schrieb und lebte gegen jene lange Zeit als ‚natürlich‘ angesehenen Normen und Vorgaben, welche erst Ende des 20. Jahrhunderts durch Judith Butler und zahlreiche weitere Intellektuelle und Wissenschaftler*innen eine nachhaltige wissenschaftliche Dekonstruktion ihres vermeintlich 'essenziellen' Charakters erfuhren, indem die Komplexität des Wechselspiels aus biologischem Sexus, historisch-kulturellen Gender-Codierungen und den Spielarten unterschiedlicher Begehrensstrukturen systematisch gefasst wurde.

Doch finden wir bereits in Rachilde eine frühe entschiedene Vorläuferin und Vorkämpferin dieses systematischen, hier ästhetisch-literarischen Dekonstruierens fester Gender-Identitäten: Travestie, Transsexualität, Emanzipation und Parodie der Geschlechter, vor allem jedoch ein erstes fundamentales Insistieren auf den rein konventionellen Charakter von Geschlechter-Beziehungen, Identitäten und ihrer biologischen ‚Eigentlichkeit‘ werden zu Thematiken, die zahlreiche ihrer Texte prägen.

Dabei werden kulturgeschichtlich verankerte Geschlechter-Mythen ebenso evoziert und ‚gequert‘ wie Typen des ‚Männlichen’ und ‚Weiblichen‘, wie sie die europäische Kulturgeschichte dominierten.

Neben ihren berühmtesten Romanen Monsieur Vénus (1884), Marquise de Sade (1887) und Madame Adonis (1888) werden wir uns auch kleineren Texten und Skizzen widmen, welche bereits zu Beginn eines Jahrhunderts der Welt-Kriege, Rückfälle in die Barbarei und Repressionen von Gender-Diversität auch die vielfältigen Formen und Möglichkeiten eines immer dynamischer werdenden Prozesses politischer und sexueller Emanzipation jenseits festgefügter Geschlechternormen und Ästhetiken erahnen lassen.


Sucht man nach radikalen Schriftsteller*innen und Kritiker*innen etablierter ästhetischer und literarischer Maßstäbe, so kommt man bezüglich der spanischen Literaturgeschichte am Galizier Ramón María del Valle-Inclán (1866-1936) kaum vorbei. Obwohl der Generación del 98 zugerechnet, reicht die Wirkkraft seiner Romane und Theaterstücke weit über die politischen und ästhetischen Zielsetzungen dieser wichtigen historischen Formation und den späteren Bewegungen der sog. historischen Avantgarden hinaus.

Valle-Incláns radikale, ‚respektlose‘-parodistische und bösartig-sarkastische Texte und Motive dekonstruierten nicht nur die Starre, die oberflächliche Moralität, den dumpfen Patriotismus sowie den Nationalismus und die Brutalität innerhalb der spanischen Gesellschaft der Jahrhundertwende und der sie beherrschenden Institutionen, sondern können als wegweisend für zahlreiche europäische Romanautor*innen, Dramaturg*innen und Regisseur*innen verstanden werden. Das mit seinem Namen eng verbundene Genre des Esperpento war dabei ein Instrument, Sarkasmus und Kritik effektvoll mit ästhetischer und dramatischer Dichte zu verbinden.

Natürlich werden wir uns auch diesem Phänomen und der Machart einer Ästhetik des Schocks, des Hässlichen und des Obszönen widmen, welche als Gattung selbst sowie als strategischer Bestandteil von Theaterstücken und Filmen keineswegs auf Valle-Inclán beschränkt blieb.

Anhand ausgewählter Texte werden wir somit gemeinsam versuchen, vor den historischen Hintergründen, aber nicht allein auf diese beschränkt, ein Bild dieses herausragenden Autors zu entwickeln und zugleich zu fragen, inwieweit er Antworten, aber auch Möglichkeiten der Kritik für eine Gegenwart bereithält, deren Probleme zwar andere zu sein scheinen, aber dennoch nach wie vor nach aufrüttelnden ästhetischen Artikulationsformen sucht, welche fernab eines rein passiven Publikums Komplexität in die schockierende Gegenwart des Lesens, Sehens und Hörens stellen können.